Wenn Ausfahrten immer gefährlicher werden

Es ist mir schon länger ein Bedürfnis unseren Blog zu nutzen um einen kleinen Teil der Realität als Radfahrer im täglichen Straßenverkehr zu veranschaulichen. Ich habe schon oft überlegt einen solchen Beitrag zu verfassen, aber habe es immer wieder gelassen. Warum? Weil dieses Thema immer die Meinungen spalten wird! Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass ich nicht vor habe an ewig langen Diskussionen teilzunehmen, ich appelliere einfach an den menschlichen Hausverstand, dass wir sachlich bleiben. Jeder hat seine eigene Meinung und geht anders damit um, doch es gehört einfach gesagt. Und JA – es gibt auch Deppen auf Fahrrädern, so wie es die überall gibt, doch eines muss uns bewusst sein – wir sind alle nur Menschen und haben alle nur ein Leben. In letzter Zeit werden die Ausfahrten einfach immer gefährlicher und das darf nicht sein.. Bitte passen wir mehr aufeinander auf.

„Wir RadfahrerInnen.“

Wir werden einkategorisiert & abgestempelt. Es kommt mir vor als würden „Wir RadfahrerInnen“ von „den autofahrenden Menschen“ oft nicht als Menschen wahrgenommen, sondern als störendes Objekt mitten auf der Fahrbahn. Wie soll ich sagen, als „RadfahrerInnen“ sind wir eigentlich immer im Weg. Auf den Straßen sind wir das unbeliebteste Hindernis überhaupt. Für Radwege sind wir wiederum zu schnell unterwegs und könnten Familien bei Ausflügen mit ihren Kindern behindern. Von Rad-Ausfahrten im Wald fange ich erst gar nicht an, hier ist es ja sowieso fast überall verboten, dass das Rad den heiligen Boden berührt.

Zu viele kritische, bedrohliche oder provozierende Situationen sind uns mittlerweile am Fahrrad untergekommen. So geht es natürlich nicht nur uns. Kaum sitzen die Menschen in ihren Kisten aus Stahl fühlen sie sich unglaublich mächtig. Sie sind schneller, geschützter und stärker als wir es am Rad je sein werden. Wir sind den Autofahrern ausgeliefert, sozusagen die „Schwächeren im Ring“ und das ist ihnen allen bewusst – so fühlen sie sich sicher. Dass diese Eigenschaften aber auch umheimlich gefährlich für andere VerkehrsteilnehmerInnen sein können, wird oftmals einfach ausgeblendet. Es muss immer erst etwas passieren, bevor sich Menschen über ihre Taten tatsächlich bewusst werden.

Race Around Austria, Pace Car, Pace Car Setup, Rennradblog, Radblog, 24h Rennen, Ultra Rad Rennen, Organisation im Auto, Struktur im Auto, geradeausat, Radblog, Tini & Andy, RAA-Challenge

Tägliche Erlebnisse am Rad.

Es gehört zu den täglichen Ausfahrten dazu angehupt oder geschnitten zu werden. Leider gewöhnt man sich daran. An manchen Tagen kann man es ganz einfach ausblenden, an anderen provoziert die Situation und wieder an einem anderen Tag fährt einem die ganze Situation regelrecht durch den Körper.

Sitzt du auf einem Fahrrad, bist du plötzlich eine mindere Kategorie Mensch – jedenfalls fühlt es sich so an. Es ist erschreckend, es ist traurig, wirklich traurig. Schimpfworte die ich an den Kopf geworfen bekomme, egal ob ich im Recht bin oder nicht, prallen nicht einfach von mir ab. Ausrufe oder gar Gebrüll wie: „Funsn“, „Hure“, „grindigs Bauangsicht“, „Kumm hea, du Gschissane!“ um nur ein paar jener zu nennen, die mich in den letzten Wochen trafen. Mittelfinger sehen auch immer besonders schön aus, wenn sie beim Fahrerfenster in die Luft ragen. Was glauben die Menschen eigentlich, dass man auf ein solches Verhalten mit einer Umarmung reagiert? Natürlich reagiert dann auch der/die RadfahrerIn voller Unverständnis zurück – irgendwann ist man es einfach leid, gedemütigt zu werden.

Beispiel eins.

Oft gehen die Dinge so schnell, dass man gar nicht dazu kommt zu reagieren. Du bist einfach überfordert, perplex und überrumpelt von so viel Ignoranz, obwohl du eigentlich nur am Rad sitzt. Ein Beispiel das erst ein paar Tage alt ist:

  • Wir fahren auf einem Radweg/Güterweg direkt neben der Hauptverkehrsstraße. Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30km. Die Straße ist schon sehr rissig & holprig, also müssen wir immer wieder einigen Schlaglöchern ausweichen. Wir hören das Auto hinter uns nicht, da die Hauptverkehrsstraße dieses übertönt. Zu Zweit fahren wir 27km/h, also fast so schnell wie die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Plötzlich fährt hinter uns ein rotes Auto auf, steigt aufs Gas und drückt volle Wucht für einige Sekunden auf die Hupe. Ich zucke zusammen und verreiße meinen Lenker, versuche mich gleichzeitig umzudrehen und sehe wie das Auto gleich darauf hinter uns in eine Seitengasse abbiegt. 100 Punkte. Ich hoffe du warst danach glücklich und hast dir einen Belohnungs-Keks gegönnt.

Die Frage des „Warums“ zu stellen, ist mittlerweile einfach überflüssig.

„Warum bin ich eine Funsn? Aus welchem Grund werde ich angehupt? Weshalb brüllt der Typ hinter mir aus dem Fahrerfenster ‚RAAAAADWEG‘ und biegt dann hinter mir ab, obwohl kein Radweg in der Nähe ist?“ Auf so etwas gibt es keine Antwort.

Angehupt oder angepöbelt zu werden, damit kommt man mit der Zeit trauriger Weise irgendwann klar. Man fährt so gut es geht immer hintereinander oder sucht den nächsten Radweg auf, der hoffentlich gut asphaltiert ist und nicht nach 500 Metern in einem Güterweg endet. Doch das viel Schlimmere ist es, wenn man während Verkehrsinseln unbehelligt überholt wird, ohne dass sich das Tempo des überholenden Fahrzeugs verringert, oftmals wird sogar beschleunigt.

An anderen Tagen wird man trotz keinerlei Gegenverkehr auf der breiten Fahrbahn geschnitten und keine 10 Meter später biegt das Auto rechts ein, um sich in einen Parkplatz zu schrauben. Wir müssen sofort bremsen und wir haben kein ABS. Das sind alles Situationen in denen WIR sofort reagieren müssen, denn ansonsten sind WIR tot und ein/e AutofahrerIn fährt unbeschadet weiter.

Beispiel zwei.

In letzter Zeit häufen sich die gefährlichen Situationen, nicht selten muss ich danach stehen bleiben um mich wieder zu sammeln. Oft zittert mein ganzer Körper vor lauter Angst um mein eigenes Leben, manchmal weine ich auch. Es sind die Situationen in denen man sich einfach ausgeliefert fühlt. Dashcams sind bei uns nicht gestattet, geht man zur Polizeiwache und möchte eine Anzeige machen, so steht einfach Wort gegen Wort. „Wurden Sie verletzt? Nein? Dann kann ich Ihnen nicht helfen.“ So die Aussage eines Polizisten nachdem ein Freund in den Graben gedrängt wurde. Erst kürzlich war auch ich einer Situation vollkommen ausgeliefert – danach habe ich beschlossen, diesen Beitrag zu schreiben:

  • Diesmal waren wir auf einem Radstreifen unterwegs, also direkt neben der Fahrbahn. Vor mir sah ich, dass ein Wagen auf dem Radweg parkte, also blickte ich hinter mich und sah, dass das nächste Auto weit genug weg war um auf die Haupt-Fahrbahn zu wechseln. Wir wechselten auf die Spur und hörten anschließend von weiter hinten schon die Hupe des Lieferwagens. Ich deutete mit meiner Hand nach rechts auf das parkende Auto und dachte die Sache wäre erledigt.
  • Wir wechselten zurück auf den Radweg während sich vor uns eine Verkehrsinsel näherte. Ganz rechts konnten wir nicht fahren, da alle 15 Meter die Gullis mittig platziert waren. Trotzdem setzte der Lieferwagen an, uns zu überholen. Er schnitt in die Insel hinein und der Sog zog mich in Richtung Fahrbahnmitte. Plötzlich musste ich feststellen, dass er noch einen langen Anhänger befestigt hatte. Zwei-Fingerbreit waren zwischen mir und seinem Anhänger. Ich riss meinen Lenker nach rechts, prallte durch das Gulli-Schlagloch und atmete durch. Der Beifahrer deutete mir netter Weise noch nebenbei den Vogel, natürlich, ich war es auch, die hier einen Vogel hatte.

Der Schock sitzt tief.

Es schauderte mir. Der Wagen kam 100 Meter später wieder im Kreuzungsbereich zum Stehen und so überholten wir ihn wieder – der Klassiker. Ich bog rechts ab, wollte nicht weiter auf dieser Straße fahren. Alles krampfte sich zusammen, mein ganzer Körper stand unter Anspannung also hielten wir an. Wir standen einfach nur da, Arm in Arm und waren froh, dass nichts passiert war. Auf meinem Garmin konnte ich nachträglich einen Ausschlag meiner Herzrate ausmachen: 188 Puls.

Anschließend postete ich das Video meiner zitternden Beine in unserer Story auf Instagram. Innerhalb kürzester Zeit hatten uns unglaublich viele Nachrichten erreicht. Unterstützende Worte, die einfach gut taten. Sie alle hatten jedoch meist einen Satz gemein: „Ich kenne das.“ Ist es nicht traurig, dass wir alle diese Situation kennen müssen? Dieses Gefühl der Angst ums eigene Leben? Wacht auf! So gefährlich wie es ist unangeschnallt mit dem Auto zu fahren, so gefährlich ist es als Radfahrer auf der Straße zu fahren.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von geradeaus – cycling blog (@geradeaus.at) am

Reaktionen anderer Radfahrer.

„Ich verstehe euch. Es gibt so viele Ignoranten auf der Straße. Zum Glück ist dir nichts passiert. Ich muss zugeben, ich fahre bei Verkehrsinseln immer mittig auf der Fahrbahn, so, dass keiner vorbei kommt. Fairerweise mache ich danach immer zügig Platz.“

„Oh Gott, ich hab Gänsehaut. Zum Glück gehts dir gut!!! Mich hat vor 2 Wochen ein Auto mit ca. 70km/h überholt und nur ganz knapp verfehlt und somit fast überfahren. Hatte die Panikattacke meines Lebens und bin vor Hyperventilation fast vom Rad gekippt. Kann dich also gut verstehen..“

„Alter Schwede! Brutal!! Heute wars bei mir knapp, weil immer in unübersichtlichen Kurven überholt wird..“

„Kann ich gut nachfühlen, ist mir auch schon passiert! Einfach unglaublich. Bin froh zu sehen, dass euch nichts passiert ist.“

„OMG! Brave Schutzengerl und bestimmt eine gute Reaktion gehabt.“

„Puh heftig!! Ich hoffe du nimmst den Schock nicht in die nächsten Ausfahrten mit. Ich hatte vor einem Jahr so ein Erlebnis, die Fahrerin hat mich beim Überholen erwischt und ich bin gestürzt. Meine Beine haben die ersten Ausfahrten immer so ausgesehen (zitternd), wenn sich von hinten ein Auto genähert hat… Gut, dass dir nichts passiert ist!“

LKWs die unheimlich schnell überholen oder in unübersichtlichen Kurven neben dir fahren – Alltag. Autofahrer, die die Geschwindigkeit von uns am Rennrad unterschätzen und uns den Vorrang nehmen – Alltag. Überholmanöver trotz Gegenverkehr – einfach drauf aufs Gas – wird sich schon ausgehen – Alltag.

Es gibt kaum Verständnis, oft nur Ärger, wohl beiderseitig. Selbst heute, wenn ich zu Freunden komme und sage „Ich habe einen Rennradblog“ ist die Reaktion oft – „Oh Gott, ihr seid auch so Radfahrer?“ Ich bin es leid mich erklären zu müssen, dass das mein Hobby & meine Leidenschaft ist. Dass nicht immer wir das Problem sind und dass der Fehler nicht immer auf unserer Seite liegt, nur weil wir fahren wo wir fahren. Wenn ein/e AutofahrerIn einfach kurz die Geschwindigkeit reduzieren würde, dann würde er/sie vielleicht 5, sollen es 10 Sekunden sein die verloren gehen, aber wir können die Angst vor unachtsamen Überholmanövern ablegen. Auch die 1,5 Meter Mindestabstand beim Überholen kenne ich selten.

Ein Appell.

Nur gemeinsam sind wir stark und können an uns arbeiten. Mehr Rücksicht auf andere VerkehrsteilnehmerInnen, vorausschauend fahren, mal vom Gas gehen, anstatt auf die Hupe zu drücken. Ich könnte deine Tochter sein, oder dein Sohn, dein Neffe, dein Bruder, deine Verlobte, Mutter, Vater oder bester Freund. Wir mögen vielleicht für dich eine fremde Person sein, sind aber von irgendjemandem die Tochter. Behaltet das im Hinterkopf und geht vom Gas. Stresst euch nicht selbst und ärgert euch nicht wegen Kleinigkeiten wie Radfahrern auf den Straßen, es gibt doch wirklich Schlimmeres. Im Grunde haben wir alle dasselbe Ziel: gesund wieder zu Hause anzukommen und das Leben zu genießen.

DANKE aber auch an jene Autofahrer, die heute schon nachsichtig fahren und auch mal hinter uns bleiben. Die erst überholen, wenn sie genügend Abstand zu uns halten können. Die uns und unser Leben schätzen und uns nicht unnötig in Gefahr bringen. Es ist zwar mehr die Ausnahme als die Regel, aber ihr zeigt uns, dass es noch Hoffnung gibt. DANKE!